Mauerläufer

 

 

 

Seinen Ursprung hat der Mauerläufer in der Meersburger Autorenrunde. Die Idee, eine Literaturzeitschrift zu machen, entstand nach der zweiten Meersburger Anthologie von 2011 mit dem Titel: aber es gab noch einen anderen Fisch. Auf dem Cover ist ein Fisch mit Vogelbeinen. Und diese Beine sind die ersten Vorboten unseres literarischen Jahresheftes, denn sie gehören einem Mauerläufer. Die erste Ausgabe erschien 2014.

 

 

 

 

 

 

Auf der Innenseite des Covers erfährt man, was ein Mauerläufer ist: ein seltener Vogel: "Bei näherem Hinschauen jede Menge Assoziationen zur  Spezies der SchriftstellerInnen. Wir denken an das Brüten in großen Höhen, um dann irgendwann wieder in die Niederungen herabzusteigen. An die nicht immer einfache Nahrungssuche. Nicht zu vergessen die ungewöhnliche Schönheit des Mauerläufers."

 

 

Aber ein Mauerläufer ist auch einer, der auf Mauern läuft. Von dem altpersischen Wort pairi-dae-za, das ursprünglich Umzäunung heißt, leitet sich unser Paradies ab. Die Mauer, die das Paradies umgibt, verhindert, dass man hineinkommt. Aber man kann, wenn man auf der Mauer läuft, ab und zu einen Blick hineinwerfen. Schriftsteller sind Mauerläufer und Eigensinnige, als Grenzgänger bewegen sie sich am Rand der Gesellschaft, an den Rändern unserer so gut befestigten Welt. Sie haben das Paradies ebenso im Blick wie die paradiesfernen Gegenden und Abgründe.

 

regional - radikal - randständig

 

 

 

Mauerläufer ist regional verankert. Diejenigen, die Beiträge liefern für das Jahresheft, leben im Bodenseeraum oder haben hier ihre Wurzeln.

 

 

 


Radikal wollen wir sein, und nicht an der Oberfläche kleben oder im Mainstream schwimmen, sondern tiefer bohren, durch die Schichten der Konventionen und Gewohnheiten mit dem feinen Instrumentarium der Dichter und Dichterinnen.

 

 

 

 

 

Als Grenzgänger, die sich am Rand der Gesellschaft bewegen, wollen wir auch die in den Blick nehmen, die randständig sind.

 

 

Von 2014 bis 2020 war ich Mitherausgeberin des Mauerläufers. Seit 2022 gibt es eine neue Redaktion.

www.mauerlaeufer.org

 

 

 

2014: Mauerläufer Nr. 1: Die Sprache, die keiner spricht - die Gebärdensprache

 

 

Der Mauerläufer ist regional verankert, Menschen und Lebensweisen sollen Raum bekommen, die in unserer Gesellschaft am Rand stehen. Die Gebärdensprache ist der Themenschwerpunkt der ersten Ausgabe, weil Gehörlose am Rand unserer Gesellschaft stehen und weil sich ihre Sprache am radikalsten von der Laut- und Schriftsprache unterscheidet.

 

 

 

 

 

Auf dem Cover ist eine Zeichnung von Hermann Kinder. Sie ist radikal in ihrem Realismus und der ungeschönten Darstellung eines alten, kranken Mannes. Von Hermann Kinder ist in diesem ersten Heft ein langer Beitrag mit einigen seiner Zeichnungen, die ähnlich schonungslos sind: "Die vielen lieben Gäste im Haus."

 

 

 

 

2015: Mauerläufer Nr. 2 - von Ordnung und Unordnung

 

Auf dem Cover von Mauerläufer Nr.2 ist eine Arbeit von Antonius Conte. Er hat sie Finisterrae genannt. Das ist Lateinisch und bedeutet das Ende der Welt. Finisterrae zeigt eine Welt, der die Luft ausgegangen ist. Daneben steht lakonisch: Bitte ordentlich zusammenfalten! 

Um Ordnung und Unordnung geht es in diesem zweiten Literarischen Jahresheft, oder sagen wir besser: um Ordnung und Chaos. Denn Unordnung ist die Negation der Ordnung, Chaos aber ein anderer Zustand, von einer eigenen Lebendigkeit. Chaos kommt aus dem Griechischen und bedeutet gähnende Leere, und das, was entsteht, wenn die Leere ausgiebig gegähnt hat, ist Kosmos, die Weltordnung. 

Mit dem Chaos auf Schreibtischen beginnt die Erkundung der ausgedehnten Gebiete zwischen Chaos und Ordnung – im privaten und im öffentlichen Leben, in der Liebe und in der Politik, zwischen Krieg und Frieden.

 

 

2016: Mauerläufer Nr. 3 - die Vierländerregion Bodensee

 

In der dritten Ausgabe des Mauerläufers geht es um die Region. Der Halbsatz traf seeabwärts in Romanshorn ein Blechboot ein stammt aus einem Text des Schweizer Autors Stefan Keller. Ein russischer Kriegsgefangener baute aus einer Zeltplane mit Stäben und Schnüren ein Boot und ruderte in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1917 über den Bodensee nach Rorschach.

„Ein paar Monate später traf seeabwärts in Romanshorn ein Blechboot ein. Zwei Arbeiter der Zeppelinwerke Friedrichshafen hatten es heimlich aus Büchsen gebaut. Sie waren deutsche Soldaten und wollten auf keinen Fall zurück an die Front.“

Die Analogie zu den Geschichten der Bootsflüchtlinge, die 2015 zu uns gekommen sind, ist offensichtlich. Und doch geht es im neuen Mauerläufer nicht um Flucht, sondern um das Leben und das Lebensgefühl in der Vierländerregion Bodensee. Sätze aus den Texten wurden zu Titeln der 6 Kapitel, sie werfen ein Schlaglicht auf die Regionen rund um den See.

 

 

 

2017: Mauerläufer Nr. 4 - Inseln, Klöster, Zellen, Zirkel

 

Gemeinsam ist allen vier Begriffen die Abgrenzung. Mal findet sie durch eine Mauer statt, mal durch Wasser, mal durch eine Membran, mal durch einen Bund zwischen mehreren Menschen. Immer stellt sich die Frage: Wer (oder was) kommt rein, wer (oder was) bleibt draußen?

Hier schließt sich kein Kreis: Der Satz ist aus einem Gedicht von Niels Zubler. Wir wollen gern, dass alles eine runde Sache ist. Und doch bleibt immer eine Lücke, ein loser Faden, und das ist gut, denn dann geht es weiter. Luft muss sein. Man muss ja atmen können. 

Und die Gurke auf dem Cover? Ist so wenig Normgurke, wie wir genormt sind. Sonst wäre das Leben ja langweilig. Sonst wär es nicht das Leben. Normen und Dogmen werden aufgestellt, um das Leben in den Griff zu kriegen. Das gelingt auf Dauer nicht. Davon zeugt der Mauerläufer. Es ist (auch) ein Projekt gegen den Dogmatismus, ein Projekt, in dem viele unterschiedliche Stimmen laut werden. 

 

 

 

 

2018: Mauerläufer Nr. 5: WortMachtWort - Verhältnis von Macht und Wort

 

Wortmacht und Machtworte: Hat in der Literatur das Wort die Macht? Und in der Realität die Macht das Wort? Was aber ist das Wort - eine Geste im Mund? Im Text von Zsuzsanna Gahse geht es auch um die Körpersprache - und damit lässt sich ein Bogen schlagen zur ersten Ausgabe des Mauerläufers, in der es um die Gebärdensprache ging.

Wie die Hand streicheln kann, so kann das Wort schmeicheln. Und wie die Geste bannen kann, so kann das Wort verdammen. Und wie der Arm schlagen kann, so kann das Wort zum Schlagwort werden. Das ist der Raum, den der Mauerläufer in seiner fünften Ausgabe ausleuchten will: Es geht um die Wechselbeziehung von Wort und Mensch, m Bannsprüche, Flüche und Gebete. 

Was geschieht, wenn das mächtige Wort mit den Mächtigen kollidiert? Ein Beispiel haben wir vor der Haustür: Jan Hus hat Worte geschrieben, die den Mächtigen nicht passten, 1415 wurde er zum Feuertod verurteilt. So ergreift die Macht das Wort. Auf dem Cover ist eine Anspielung auf Wilhelm Tell des Schweizer Künstlers Christoph Rütimann mit "Tell me!"

 

 

 

 

 

2019: Mauerläufer Nr. 6 - Wahrnehmung und Perspektiven

 

 

Mörike stellte die Kamera auf. So lautet der erste Satz der Erzählung Alles wissen von Beate Rothmaier, der zum Titel von Mauerläufer Nr.6 geworden ist. Thematischer Schwerpunkt ist diesmal die Wahrnehmung. Wir erleben täglich, wie unterschiedlich politische und gesellschaftliche Ereignisse wahrgenommen werden, aber auch alltägliche Dinge und Begebenheiten. Im Vorwort heißt es: „Man sieht nur, was man sehen will, und selbst ein Elefant im Raum wird häufig übersehen, das weiß ein altes englisches Sprichwort.“

 

 

 

2020/21: Mauerläufer Nr. 7 - Der fremde Blick

 

Wir haben Autorinnen und Autoren, Fremde, Einheimische, Zugezogene, Migrantinnen und Migranten gebeten, schreibend einen fremden, einen neuen Blick auf unsere Gegend zu richten. Bis zum Redaktionsschluss hatten wir weit über fünfzig Einsendungen (nicht nur) zum Thema bekommen.

Und dann kam der Lockdown. Wir verharrte zunächst in Schockstarre. Dann begannen wir uns zu fragen, ob angesichts der neuen Situation einer Pandemie unser Thema noch zu halten sei. Wir haben schliesslich entschieden, am Thema Der fremde Blick festzuhalten. Anstelle eines Nachworts baten wir den aus Oberschwaben stammenden Autor Volker Demuth, uns einen Text über seine Zeit im Lockdown zu verfassen.

Die Uckermärkischen Notizen sind aufgrund ihrer politischen Aussage auch auf Widerspruch in der Redaktion gestossen. Die wichtigsten Einwände finden sich daher kurz zusammengefasst am Ende des Textes von Volker Demuth.