Schweigenberg, Roman

 

„Die Trauben fühlen sich wohl in ihrer Haut. Sie werden täglich runder, praller, saftiger. Der August macht wett, was das Frühjahr vermasselt hat. Der Winter war lang, der Juni verregnet, aber der August ist traumhaft.“ 

Arne Schütz ist Böttcher und hat einen Weinberg an der Unstrut. Als er in den Wald geht, um Holz zu holen für seine Fässer, trifft er Lutz Winter, den Mann, der ihn wegen versuchter Republikflucht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt hat. Plötzlich weiß Arne, was er will. Er will, dass Winter eine Ahnung davon bekommt, wie es ist, im Gefängnis zu sein. 

Ich erzähle in Schweigenberg von Nora Hard, die bis zur Wende Schuhmacherin war, von ihrer Enkelin Iris Perswall, die im Süden Deutschlands lebt, und von dem Winzer Arne Schütz. Die Wege der drei Menschen verflechten sich, es geht um Wein und um Schuhe, aber auch um einen Schlachthof, der immer größer wird.

 

 

 

 

Schuhe

 

Nora Hard ist Schuhmacherin, mit ihr machen wir den ersten Schritt hinein ins Buch.

„Ein Schuh besteht aus zwei Hauptteilen: Der obere Teil wird Schaft, der untere wird Boden genannt.“ Das war der erste Satz des Schuhmachers, bei dem sie in die Lehre gegangen ist. Auch sie hat mit diesem Satz angefangen, Jahre später, als sie selbst Lehrlinge unterrichtete. „Ein Schuh besteht aus zwei Hauptteilen: Der obere Teil wird Schaft, der untere wird Boden genannt.“ Und sie fuhr fort: „Der Boden besteht aus einer Innensohle und einer Laufsohle. Die Innensohle heißt auch Brandsohle. Die Brandsohle ist das Rückgrat des Schuhs. Die Brandsohle ist der Boden, auf dem der Fuß steht. Die Brandsohle ist das tragende Element. An der Brandsohle wird der Schaft befestigt, die Laufsohle und der Absatz. Und wenn ein Schuh keinen Absatz hat, spricht man von Nullboden.“

Nora dachte nicht an Wege, als sie von Weißenfels zum Blütengrund ging. Aber ich dachte an Wege, immer wieder habe ich an Wege gedacht, als ich Nora erfand, als Nora erwachte, als Nora ins Leben kam. Ich fragte mich, welche Rolle Wege spielen. Der Weg, den Lutz Winter durch den Wald zum Magdstein bei Zscheiplitz geht, wird ihm zum Verhängnis. Und der Weg von Noras Enkelin Iris führt nach Goseck, wo sie Arne kennen lernt. Das Leben dieser drei Menschen ist miteinander verbunden. Es geht um Wege und um Schuhe, es geht um Trauben und um Wein, es geht um die Vergangenheit, die noch nicht vergangen ist.

 

 


 

Schwäbische Zeitung: Das große Schweigen. Rezension vom 29.8.2019

 

Nach "Der Bienenkönig" hat die in Ravensburg lebende Katrin Seglitz ihren zweiten Roman veröffentlicht: "Schweigenberg" ist eine anspruchsvolle Ost-West-Geschichte, die zum Nachdenken anregt - über die Konsequenzen des Mauerfalls, über Kapitalismus und Sozialismus, über Selbstjustiz. 

                                                    Christoph Dierking, Schwäbische Zeitung, 29.08.2019

 

 

 


 

Mitteldeutsche Zeitung: Ein Gefangener seiner Vergangenheit. Rezension vom 9.11.2019

 

Von Kai Aghte

Katrin Seglitz bettet ein Stück DDR-Geschichte in die Saale-Unstrut-Landschaft ein.

„Sie würde gern über den Schweigenberg fliegen und über die Unstrut, über die Sandsteinhäuser von Freyburg und die hellgrünen Kupferdächer der Kirchtürme.“ Das denkt Iris Perswall, Hauptakteurin in Katrin Seglitz’ Roman „Schweigenberg“, als sie von dem Höhenzug ins Tal blickt. Auf dem Schweigenberg steht das Haus von Arne Schütz. In den hat sich Iris Knall auf Fall verliebt, als sie auf der Suche nach ihrer scheinbar verschwundenen Großmutter Nora die Saale-Unstrut-Gegend durchstreifte.

Nora Hard lebt im fiktiven Ort Sahlen, in dem man unschwer Weißenfels erkennt, da die Stadt früher dank des VEB „Banner des Friedens“ als wichtiger Standort der DDR-Schuhproduktion bekannt war und heute wegen seines riesigen Schlachthofs berüchtigt ist. Dank Nora erfährt der Leser auch einiges über die Schuhherstellung, war die heute 88-Jährige doch bis 1989 im „Banner“-Schuhlabor tätig.

Iris hätte aber wohl nicht so verliebt in Arnes Augen und in die Unstrut-Landschaft geschaut, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst hätte, dass der Böttcher in seinem Weinkeller einen alten Mann gefangen hält: Lutz Winter war zu DDR-Zeiten ein Richter Gnadenlos und dafür verantwortlich, dass Arne zweimal wegen versuchter Republikflucht verurteilt wurde. Insgesamt drei Jahre saß er in den Gefängnissen Brandenburg, Cottbus und Bautzen, ehe er vom Westen freigekauft wurde. Als Arne dem greisen Juristen eines Tages zufällig begegnet, beschließt er, den Verantwortlichen für sein früheres Leid, das ihn seit 30 Jahren traumatisch verfolgt, spüren zu lassen, was es bedeutet, seiner Freiheit und Menschenwürde beraubt zu sein.

Arne will Winter erst wieder freilassen, wenn der sein früheres Tun bereut. Als Iris erfährt, dass Winter Arnes Gefangener ist, wird für sie auch klar, dass Arne der Gefangene seiner Vergangenheit ist. Katrin Seglitz zeigt in ihrem Roman vor romantisch anmutender Kulisse sehr überzeugend, wie das Gestern ins Heute greift.

Katrin Seglitz: Schweigenberg. Roman, Verlag osbert+spenza, 242 Seiten, 22 Euro

 


 

Beate Rothmaier über den "Schweigenberg":

 

Liebe Katrin,

nun habe ich deinen Roman “Schweigenberg” schon seit einer Weile ausgelesen. Mit Vergnügen, mit Überraschung, mit Freude darüber, wie sich am Ende mit ein paar eleganten Wendungen alles (die einzelnen Figuren, die Handlungsstränge, die Motive und die Perspektiven) zusammenfügt (ich sage nur: Natternkopf!). 

Obwohl du ja harte Themen verhandelst! Ein gelungenes Buch zur deutsch-deutschen Vereinigungsgeschichte. Ich finde, dass du eine sehr feine Erzählweise hast und, was mir an deinem Meersburger Text auch so gefallen hat, deinen Figuren mit großem Respekt begegnest, ohne die Distanz zu ihnen zu groß werden zu lassen. Die Landschaften, die Pflanzenwelt und die Gewässer durchziehen den ganzen Text. Alles ist voll Licht und Luft und Sommersonne. 

Wie gesagt: eine schwere Thematik leicht erzählt. Das muss man erst mal hinbringen!

Glückwunsch.

Beate