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Dorthin gehen, wo die Parallelen sich schneiden - heißt mein neues Buch, es enthält Texte der Gruppe 47 und Antworten. Als ich nach einem Titel für das Buch suchte, ist mir die Zeile aus einem Gedicht von Günter Eich nicht mehr aus dem Kopf gegangen: "Dorthin gehen, wo die Parallelen sich schneiden." Ein Paradox, denn Parallelen schneiden sich nicht. Erst in der Unendlichkeit und die ist weit weg. Oder ganz nah. In uns. In den geistigen Räumen in uns können wir Menschen begegnen, die zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort gelebt haben.
Tomas Tranströmer hat das in seinem Gedicht Romanische Bögen ausgedrückt:
In der gewaltigen romanischen Kirche drängten sich die Touristen im Halbdunkel.
Gewölbe klaffend um Gewölbe und kein Überblick.
Kerzenflammen flackerten.
Ein Engel ohne Gesicht umarmte mich
und flüsterte durch den ganzen Körper:
„Schäm dich nicht, Mensch zu sein, sei stolz!
In dir öffnet sich Gewölbe um Gewölbe, endlos.
Du wirst nie fertig, und es ist, wie es sein soll.“
Ich war blind vor Tränen
und wurde auf die sonnensiedende Piazza hinausgeschoben
zusammen mit Mr. und Mrs. Jones, Herrn Tanaka und Signora Sabatini,
und in ihnen allen öffnete sich Gewölbe um Gewölbe, endlos.
In diesen inneren Gewölbe können wir sie treffen: Günter Eich und Ilse Aichinger, Helmut Heißenbüttel und Gisela Elsner, Johannes Bobrowski und Hubert Fichte, Konrad Bayer und Alexander Kluge, Peter Weiss und Günter Grass, Ingeborg Bachmann, Martin Walser und Otl Aicher. Und diejenigen, die zu ihren Texten in Resonanz gegangen sind: Walle Sayer und Beate Rothmaier, Zsuzsanna Gahse und Hermann Kinder, Wolfgang Hermann und Peter Braun, Bernadette Ott und Felicitas Andresen, Reiner Niehoff und Nora Gomringer, Heribert Kuhn und Peter Blickle, Thommie Bayer und Volker Demuth.
In den nächsten Wochen und Monaten stelle ich das Buch an verschiedenen Orten vor - unter anderem im Hotel Kleber Post, wo sich die Gruppe 47 mehrmals getroffen hat: im Oktober 1963 und 1977 zu ihrem letzten Treffen.
Am Montag, den 15. Mai 2023 lese ich in Ulm, in der Kulturbuchhandlung Jastram, Schuhhausgasse 8, 89073 Ulm. Beginn: 19:00 Uhr.
Dazu schreibt Christiane Wachsmann:
Die Geschichte der Ulmer Hochschule für Gestaltung und der Gruppe 47 ist anfangs eng, später locker miteinander verzahnt: Als die Schriftsteller im November 1947 in Herrlingen bei Ulm tagten, lud der damalige Ulmer Oberbürgermeister Robert Scholl die Autoren zu einem Empfang im Rathaus ein. Bei dieser Gelegenheit dürften sich der Gründer der Gruppe 47, Hans Werner Richter, und die HfG-Mitbegründerin Inge Scholl zum ersten Mal begegnet sein.
Gemeinsam diskutierten sie in den kommenden Monaten die Idee zu einer neuen, ganz besonderen Hochschule, die in Ulm entstehen und deren Gründungsrektor Hans Werner Richter sein sollte. Zu dieser Zusammenarbeit kam es nicht, doch blieb die Verbindung zwischen der HfG und der Gruppe 47 auch in den folgenden Jahren bestehen.
In dem Buch "Dorthin gehen, wo die Parallelen sich schneiden" stellt die Herausgeberin Katrin Seglitz Texte von Mitgliedern der Gruppe 47 vor und lässt heutige SchriftstellerInnen darauf antworten: Nora Gomringer auf Günter Grass, Zsuzsanna Gahse auf Helmut Heißenbüttel, Thommie Bayer auf Otl Aicher und andere mehr. Die Lektüre ermöglicht die Wiederentdeckung von Texten der Gruppe 47, aber auch Einsichten in die unterschiedliche Art und Weise, zu ihnen in Resonanz zu gehen.
Christiane Wachsmann, Kuratorin im HfG-Archiv, wird eine kurze Einleitung zu der Rolle geben, die Hans Werner Richter für die HfG spielte.
Die Veranstaltung ist eine Kooperation vom HfG-Archiv Ulm und der Kulturbuchhandlung Jastram.