Hochzeitstage

Es waren bewegte Tage, die Mauer war gerade gefallen, die Mauer, von der wir gedacht hatten, dass sie bis ans Ende unserer Tage steht. Es geht um eine Hochzeit in Brandenburg, am östlichen Rand von Berlin, im Sommer 1989.

"Noch ist Juli, noch sind die Menschen gelähmt von der Hitze, das Land versunken in sommerlicher Lethargie, die Gäste hingelagert auf der Wiese unter den Birken. Dahin will ich, zu ihnen, zu den Hochzeitsgesellschaft, aber zwischen ihnen und mir ist der Zaun, da der Stacheldraht drauf, ich stecke meine Hand durch die rostigen Drahtkaros, Strecke die Finger noch ein wenig mehr, Rostbrösel auf der Haut, klettere über den Zaun, bleibe am Stacheldraht hängen, eine Triangel im Rock, spiele auf der Triangel, ping ping, klingle am Gartentor, kommt der Onkel mit puderzuckrigen Händen, ich soll mal über den Zaun langen und seinen Schlüssel aus der Hose ziehen.

Ich angle mit den Fingern nach seiner Tasche - verhakt sich ein Stacheldrahtwürfel in meiner Achsel, ich fluche, ob er sich fürchte in diesem Land, ob die Mauer nicht schon genug sei, es gebe Grund genug, sagt er, aber den Stacheldraht wollte ich schon lang entfernen. Er umarmt mich, legt in den Druck der Arme die Dauer der Zeit, in der wie uns nicht gesehen haben, er versucht mit dieser Umarmung die Teilung des Himmels zu heilen, zumindest für dien Augenblick und für die nächsten Tage.

Wir gehen zum Haus unter den Kiefern, die höher sind als der Flug des Federballs, das Haus leuchtet weißverputzt in ihrem Schatten, einstöckig, spitzgieblig, die Tür braunlackiert in rotem Rahmen, ob ich ihm helfen könne mit den Bienen, fragt der Onkel. (...) Wir betreten die Küche, hier formt er Liebesknödel für die Bienen, aus Puderzucker und Honig, Nahrung für die neugezogenen Bienenköniginnen und drei Schöpfkellen Bienen, die sollen neue Völker bilden, autonome Republiken mit bunt lackierten Flug- und Landelöchern."

Die Erzählung erschien 1990 im Band Zu Gast bei Inge und Walter Jens und wurde zum Kern meines Romans Der Bienenkönig.