frei
gehen wir auf den Steg hinaus Richtung Berge, entfernen uns vom Land, bewegen uns ins Offene. Rechts und links Wasser, hinter uns Langenargen mit Häusern und Cafés und Hotels, vor uns die Berge, nebeneinander, hintereinander, unterschiedlich geformt. Sie gefallen uns, erfreuen uns, ihr Anblick macht uns
frei
weil sich in ihnen eine Gestaltungskraft offenbart, die auch in uns wirksam ist. Wir sind ein Teil von ihr, Teil der Natur, Teil der Erde. Wir können uns von hier nach da bewegen, vom Anfang des Stegs bis zum Ende - und darüber hinaus: mit einem Schiff, einem Segelboot und mit unseren Gedanken
frei
fühlen wir uns, wenn der Wind unsere Segel füllt und das Boot über den See saust, unfrei, wenn er uns bei der nächsten Flaute hängen lässt. Der Wind ist ein himmlisches Kind und verwandt mit dem Geist Gottes, der, so wird gesagt, am Anfang der Schöpfungsgeschichte über dem Wasser schwebte
frei
war man früher in der Familie, in der Gesellschaft vertrauter Menschen, während man am Hof höflich sein musste. Zuhause konnte man reden, wie einem der Schnabel gewachsen war, am Hof nicht. Heute verstehen viele unter Freiheit, zu gehen, wann und wohin man will
frei
zu sein wurde zu einem Menschenrecht und 1776 zum ersten Mal in der Unabhängigkeitserklärung von Amerika formuliert. Die Unabhängigkeit musste erkämpft werden, denn die Briten wollten zwar weiter Steuern kassieren, aber keine Mitbestimmung zulassen
frei
waren jedoch nur frei geborene, weiße Männer. Die Menschenrechte galten nicht für Frauen, Sklaven und freie Schwarze. Die Delegierten, die aus den dreizehn Staaten von Amerika zusammen gekommen waren, unterzeichneten die Erklärung erst, nachdem die Verurteilung der Sklaverei aus dem Dokument gestrichen worden war
frei
wollten 1789 auch die Bürger Frankreichs sein, frei von der Herrschaft der Bourbonen, die auf Kosten der einfachen Leute Hof hielten und Politik machten. Die Freiheit führt das Volk nannte Delacroix sein Bild, das zum Inbegriff von Revolutionen wurde. Er hat es aber erst 1830 gemalt, nach den Aufständen gegen Charles X
frei
ist die Brust der Liberté. Sie trägt eine rote Jakobinermütze und schaut anfeuernd zurück, in der einen Hand die Trikolore, in der anderen die Flinte. Neben ihr läuft ein Junge mit Baskenmütze und einer Tasche, die wie eine Kindergartentasche aussieht, aber mit Pulver gefüllt ist, für die Pistolen, die er in jeder Hand hält
frei
sein wollen viele. Die französische Revolution wird von den Armen bewundert und von den Mächtigen gefürchtet. Die Hoffnung auf Freiheit ist ansteckend für alle, die klein gehalten werden. Sie nimmt immer wieder neue Formen an und taucht an einem anderen Ort auf
frei
sein - wie geht das? Darüber wurde zu allen Zeiten nachgedacht. Wie ist Freiheit zu denken, wenn es einen allwissenden Gott gibt? Das hat sich Schelling 1809 gefragt. Es muss etwas im Menschen geben, was seinem Zugriff entzogen ist, sonst würde es wahre Freiheit nicht geben. Wir sind frei, das Gute zu tun, aber auch das Böse
frei
anderen zu schaden und uns selbst. Frei, andere zu schützen und uns selbst. Werden die, die anderen schaden, bestraft? Manchmal wünschen wir es uns, wünschen eine himmlische Gerechtigkeit für alle, die Unrecht tun, andere Menschen verletzen, quälen oder töten. Sophie Scholl spielte das Lied: Die Gedanken sind
frei
wer kann sie erraten? Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: die Gedanken sind frei. Sophie Scholl spielte das Lied auf der Blockflöte vor den Mauern des Gefängnisses, in dem ihr Vater saß, 1942, er hatte Hitler kritisiert
frei
sein ist ein Wunsch, der sich viele Wege sucht, stille und laute, gewaltsame und gewaltfreie. Daran denken wir, wenn wir auf dem Steg hinauslaufen, hinter uns Langenargen, vor uns die Berge. Mal war der Steg eine Lände für Lastkähne, dann wurde er befestigt und ans Ende ein Häusle gesetzt. Wir sind so
frei
es neu zu entdecken, sobald es saniert ist. Vielleicht auch mit Lesungen und Diskussionen über das Wesen der Freiheit und die verschiedenen Formen, die sie annehmen kann. Freiheit für Aale stand auf der Berliner Mauer. Während der See den Himmel spiegelt, bewegen sich unsere Gedanken ins Offene
Text für Annette Weber www.annette-weber-allendorf.com